Wie Pflanzen durch den Menschen wandern – Stickstoffverschmutzung sorgt für Verschiebung des Verbreitungsgebiets europäischer Waldpflanzen nach Westen

Der Klimawandel hat in den vergangenen Jahrzehnten die Ökosysteme weltweit durcheinandergewirbelt. Vor allem wird angenommen, dass viele Arten ihre Verbreitungsgebiete infolge der Veränderungen in Richtung der Pole verschieben. Aktuelle Forschungsergebnisse legen jedoch nahe, dass auch andere – ebenfalls menschengemachte – Umweltveränderungen die geografische Verteilung der Arten beeinflussen. Ein internationales Forschungsteam, an dem auch Dr. Thilo Heinken vom Institut für Biochemie und Biologie der Universität Potsdam beteiligt ist, konnte zeigen, dass viele europäische Waldpflanzen eher nach Westen „wandern“ – und zwar auf den Spuren großer Stickstoffeinträge in den Boden als Folge von Industrie, Verkehr und Landnutzung durch den Menschen. Die Ergebnisse der Untersuchung sind nun im Journal „Science“ erschienen.

Für ihre Studie haben die Forschenden die Verbreitung von 266 europäischen Waldpflanzenarten über bis zu 84 Jahre hinweg in knapp 3.000 Waldbeständen untersucht, darunter etliche Waldgebiete in Brandenburg und einige der symbolträchtigsten Wälder Europas, wie z. B. der Urwald Białowieża in Polen. Die Daten stammen aus wiederholten Erhebungen in ganz Europa zwischen 1933 und 2017 und lassen erkennen, wohin und wie schnell die Arten „wandern“. Die Auswertung zeigte, dass die europäischen Waldpflanzen ihre Verbreitungsgebiete mit einer durchschnittlichen Geschwindigkeit von 3,56 Kilometern pro Jahr verschieben. Dabei verlagerten sich rund 39 Prozent der Arten nach Westen, aber nur 15 Prozent nach Norden: Eine Verlagerung nach Westen war als 2,6 Mal wahrscheinlicher! Dies widerspricht der verbreiteten Annahme, dass steigende Temperaturen im Zuge des Klimawandels viele Arten in kühlere, nördliche Gebiete treiben. Dennoch lässt sich auch diese Entwicklung mit einer menschengemachten Umweltveränderung erklären: „Nicht der Klimawandel, sondern hohe Stickstoffeinträge in den Boden aus der Luftverschmutzung erklären diese Bewegungen nach Westen am besten“, sagt der Potsdamer Biologie Dr. Thilo Heinken. „Die Umverteilungsmuster der biologischen Vielfalt scheinen komplex zu sein und werden eher durch das Zusammenspiel mehrerer Umweltveränderungen als durch die Auswirkungen des Klimawandels allein bestimmt.“

Diese komplexen Wechselwirkungen besser zu verstehen, sei essenziell sowohl für eine künftige nachhaltige Landnutzung als auch den Erhalt biologischer Vielfalt und den Fortbestand der Ökosystemleistungen vieler Ökosysteme, betonen die Forschenden.

Link zur Publikation:
Pieter Sanczuk, Kris Verheyen, Jonathan Lenoir, et al., Unexpected westward range shifts in European forest plants link to nitrogen deposition, Science (2024), DOI: www.science.org/doi/10.1126/science.ado0878

Foto:
Reichlicher Jungwuchs des Berg-Ahorn (Acer pseudoplatanus) – hier zusammen mit Spitz-Ahorn (Acer platanoides) – ist typisch für viele Wälder in Brandenburg und Berlin. Er gehört zu den Arten, die mit einer Geschwindigkeit von mehreren Kilometern pro Jahr nach Westen „wandern”. Hauptgrund ist der atmosphärische Stickstoffeintrag. Foto: Dr. Thilo Heinken

Kontakt:
Dr. Thilo Heinken, Institut für Biochemie und Biologie, AG Allgemeine Botanik
Telefon: 0331 977-4854
E-Mail: thilo.heinken@uni-potsdam.de

Medieninformation 11-10-2024 / Nr. 095
Matthias Zimmermann

Universität Potsdam
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