Grimms Märchen

Emys-Preisträger Dezember 2013

Ein Märchenbuch als Preisträger für einen Sachbuchpreis? Das wirft doch einige Fragen auf. Immerhin gehören „Grimms Märchen“ zu den Klassikern der Märchenliteratur. Kaum ein Kind, dem diese Geschichten nicht schon einmal vorgelesen wurden. Mindestens „Rotkäppchen“ und „Schneewittchen“ sind wohl jedem schon einmal begegnet. Diese mündlich überlieferten und von den Brüdern Jacob und Wilhelm Grimm im 19. Jahrhundert gesammelten und niedergeschriebenen Geschichten sind die am weitesten verbreitete, am häufigsten übersetzte und vermutlich berühmteste Zusammenstellung dieser Art. Was also macht diese neue Ausgabe so besonders, dass sie nicht nur Preise für schön gemachte Bücher in der Kinder- und Jugendliteratur bekommt, sondern eben auch die Emys für den Monat Dezember? Philip Pullman erzählt die Märchen neu und manchmal auch weiter, so wie „Allerleirauh“, dessen überliefertes Ende ihn nicht überzeugt. Eingeführt werden 50 Märchen aus dem Hausschatz der Brüder Grimm, die Pullman ganz in der Tradition eines Märchenerzählers in eigene Worte in einer überzeugend klaren Sprache fasst - kongenial übersetzt von Martina Tichy -, mit einem langen Vorwort über 23 Seiten. Auf dieses sollten auch diejenigen nicht verzichten, die Vorworte in der Regel überblättern, um zur eigentlichen Geschichte zu kommen. Erklärt wird, wie Volksmärchen gesammelt und geschrieben wurden, wie der Figurenaufbau und die Charakterdarstellung erfolgen und wo sich das Tempo in der Erzählung herleitet. Eingegangen wird auf Bildsprache und Beschreibung und die Tatsache, dass Märchencharaktere in der Regel flach bleiben, kein psychologisches Innenleben haben. Dem langen Vorwort folgen die Märchen. Und jedes Märchen wird nach der Erzählung noch einmal eingeordnet, Märchentyp und Quelle werden genannt, sowie vergleichbare Erzählungen, in einem Kommentar wird das jeweilige Märchen noch einmal interpretiert. Der Leser erfährt nicht nur etwas über den Inhalt, sondern auch die Beweggründe, bspw. warum zu bestimmten Zeiten gerade diese Geschichte erzählt wurde. Wer das Vorwort und die Kommentare gelesen hat, wird nicht nur eine ganz neue Lust auf Märchenlektüre entwickeln, sondern diese auch anders lesen als zuvor. Die Fotos der von Shaun Tan gestalteten Skulpturen ergänzen und bereichern die Lektüre noch einmal zusätzlich. Für die Emys-Jury ein absoluter Lieblingstitel. (Simone Leinkauf)

Philip Pullman: Grimms Märchen, mit Bildern von Shaun Tan, aus dem Englischen von Martina Tichy, Aladin, Hamburg 2013, 496 Seiten, ISBN 978-3-8489-2001-3, 29,90 €, ab 14 Jahren