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Ohne Sex zu neuen Arten
Pflanzen können ihr gesamtes Erbgut auf ungeschlechtlichem Weg an einen Partner übertragen
In der Natur kommt es vor, dass sich zwei unterschiedliche Pflanzenarten miteinander kreuzen. Das ist im Normalfall ein Problem, da die Erbinformation der beiden Eltern nicht zueinander passt. Doch manchmal hilft die Natur mit einem Trick nach. Statt, wie normalerweise üblich, nur jeweils die Hälfte der in Vater und Mutter enthaltenen Erbinformation an die Kinder weiterzugegeben, reichen beide Pflanzen die gesamte Information an die Nachkommen weiter, das heißt die Chromosomensätze werden addiert. So finden die Chromosomen während der Meiose einen passenden Partner, die Pflanzen bleiben fortpflanzungsfähig und eine neue Art ist entstanden. Beispiele für eine solche Allopolyploidie finden wir sowohl bei Wildpflanzen als auch bei Nutzpflanzen wie dem Weizen, dem Raps oder auch der Baumwolle. Die Arbeitsgruppe um Ralph Bock vom Max-Planck-Institut für molekulare Pflanzenphysiologie (MPI-MP) konnte nun erstmalig nachweisen, dass eine solche Artneubildung auch auf ungeschlechtlichem Wege herbeigeführt werden kann (DOI: 10.1038/nature13291).
Pfropfung als Mittel zum Zweck
Wie bereits in früheren Arbeiten bediente sich die Arbeitsgruppe von Prof. Bock am MPI-MP der Methode des Pfropfens. Wie allgemein aus der Natur bekannt, können Pflanzen an ihren Kontaktstellen miteinander verwachsen. Im Wein-, Obst- und insgesamt im Gartenbau macht man sich diese Fähigkeit der Pflanzen bereits seit langem zu Nutze, um die Eigenschaften zweier Sorten miteinander zu verknüpfen, ohne kreuzen zu müssen. So werden beispielsweise Edelrebsorten auf Reblaus-resistente Unterlagen gepfropft, um der Reblaus, die vom Boden aus die Pflanze schädigt, ein Schnippchen zu schlagen. Gleiches gilt im Obstbau. Auch hier können durch das Pfropfen Eigenschaften der einen Pflanze mit Eigenschaften der anderen kombiniert werden. Lange Zeit war man davon ausgegangen, dass man auf diese Weise zwar eine Kombination von erwünschten Eigenschaften herstellen kann, dass es aber zwischen den gepfropften Pflanzen nicht zu einem Austausch und einer Neukombination von Erbinformationen – dem sogenannten horizontalen Gentransfer – kommt.
„Unsere früheren Arbeiten hatten bereits gezeigt, dass es entgegen der verbreiteten Meinung beim Pfropfen an den Verwachsungsstellen sehr wohl zu einem horizontalen Transfer von Chloroplasten-Genen zwischen verschiedenen Pflanzenarten kommt. Nun wollten wir in weiterführenden Experimenten untersuchen, ob auch ein Austausch der Erbinformation zwischen den Zellkernen stattfindet“, erläutert Ralph Bock die aktuelle Arbeit.
Mit Hilfe von Antibiotikaresistenzen zu neuen Erkenntnissen
Dafür fügten die Forscher zunächst Resistenzgene gegen zwei Antibiotika in das Erbgut der Tabakarten Nicotiana glauca und Nicotiana tabacum ein, die normalerweise nicht miteinander kreuzbar sind. Anschließend pfropften die Wissenschaftler Nicotiana glauca auf Nicotiana tabacum. Nachdem beide zusammengewachsen waren, schnitten sie das Gewebe an der Pfropfstelle aus und kultivierten es auf einem Wachstumsmedium, das beide Antibiotikawirkstoffe enthielt. So konnten nur die Zellen überleben, die die DNA beider Vorfahren enthielten. Erstaunlicherweise gelang es den Forschern, zahlreiche doppelt-resistente Pflänzchen heranwachsen zu lassen.
Chromosomenzahl belegt:
Übertragung der gesamten Erbinformation von Kern zu Kern ist möglich
Um feststellen zu können, ob diese erworbene Doppelresistenz nur auf der Übertragung einzelner Gene beruht oder ob das gesamte Erbgut übertragen wurde, zählten die Pflanzenforscher die Chromosomen in den Zellkernen der resistenten Pflanzen. Bei einer Übertragung des kompletten Kerngenoms sollten die neuen Pflanzen die Summe der Elternchromosomen enthalten „Tatsächlich konnten wir in den resistenten Pflanzen 72 Chromosomen nachweisen“, erläutert Ralph Bock, „das entspricht der Summe der 24 Chromosomen von N. glauca und der 48 Chromosomen von N. tabacum.“ Die aus der Pfropfstelle herangezogenen Pflänzchen enthielten demnach die Erbinformation beider Eltern. „Es ist uns gelungen, ohne geschlechtliche Fortpflanzung allopolyploide Pflanzen herzustellen“, freut sich Sandra Stegemann.
Als die Wissenschaftler diese Pflanzen im Gewächshaus wachsen ließen, konnten sie beobachten, dass sie Merkmale beider Vorfahren vereinten. Auffällig war jedoch, dass die neuen Pflanzen viel schneller wuchsen. So einen Fitness-Vorsprung gegenüber den Eltern kann auch bei allopolyploiden Nutzpflanzen beobachten werden. Da die neu entstandenen Pflanzen in der Lage waren sich fortzupflanzen und auch ihre Nachkommen fruchtbar waren, kann man hier von einer neuen Art sprechen. Sie wurde von den Forschern Nicotiana tabauca getauft.
„Das Pfropfen zweier Arten könnte demnach auch für Züchter interessant werden, um auf diesem Weg neue Pflanzenarten mit höheren Erträgen oder robusterem Wachstum zu erzeugen“, ist die einhellige Meinung der an den aktuellen Ergebnissen beteiligten Forscher.
Link: http://www.mpimp-golm.mpg.de/1914857/news_publication_8246761?c=4084