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Erheblicher Gletscherschwund in Zentralasiens grösster Gebirgskette
Die Gletscher in Zentralasien verzeichnen einen erheblichen Verlust an Masse und Fläche. Entlang des Tien Shans, Zentralasiens größtem Gebirge, hat sich das Volumen der Eismassen in den letzten 50 Jahren um rund 27% verringert, die vom Eis bedeckte Fläche reduzierte sich um 18%. Ein internationales Forscherteam unter Leitung von Wissenschaftlern des Deutschen GeoForschungsZentrums GFZ und der Zusammenarbeit von u. a. dem Institut des Französischen Centre National de la Recherche Scientifique (CNRS) an der Universität Rennes ermittelte einen Schwund der Gletscherflächen um fast 3000 Quadratkilometer, was mit einem mittleren Eisverlust von 5,4 Gigatonnen pro Jahr einhergeht. In der aktuellen Onlineausgabe von Nature Geoscience schätzen die Autoren, dass bis 2050 die Hälfte der Gletscher im Tien Shan verschwunden sein könnte.
Gletscher spielen für die Wasserversorgung Zentralasiens eine zentrale Rolle. Schmelzwasser aus dem Tien Shan ist für die Versorgung von Kasachstan, Kirgistan, Usbekistan und Teile Chinas von entscheidender Bedeutung. „Trotz dieser Wichtigkeit war bisher nur wenig über die Entwicklung der Gletscher in Zentralasien während des letzten halben Jahrhunderts bekannt“, erläutert Daniel Farinotti, der Hauptautor der Studie, den vorliegenden Wissensstand. Die meisten direkten Gletschermessreihen, welche nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion eingestellt wurden, werden erst jetzt und nur zum Teil wieder aufgenommen, während moderne Beobachtungsmethoden nur einen beschränkten Zeitraum abdecken.
GFZ-Wissenschaftler Farinotti und seine Kollegen stellten jetzt eine Rekonstruktion der Gletscherentwicklung im Tien Shan vor. „Dazu kombinierten wir Messungen und Methoden von Satellitengravimetrie, Laserhöhenmessung und glaziologischer Modellierung“, so Farinotti. „Wir konnten die Entwicklung jedes einzelnen Gletschers im Tien Shan nachvollziehen. Die Gletscher im Tien Shan verlieren zur Zeit jährlich eine Wassermenge, die ungefähr dem doppelten Jahreswasserverbrauch ganz Deutschlands entspricht.“
Gletscher in Zentralasien
Gletscher können Wasser als Eis über Jahrzehnte speichern und geben den Winterniederschlag im Sommer als Schmelzwasser wieder frei. Das ist vor allem in saisonal-ariden Gebieten wichtig, d.h. in Gebieten, welche praktisch niederschlagslose Monate aufweisen, da die lokale Wasserversorgung in diesen Fällen mit dem Schmelzwasserdargebot eng gekoppelt ist.
Zentralasien ist das herausragende Beispiel für die menschliche Abhängigkeit von Gewässern, die saisonal von Gletschern moduliert sind. Nirgendswo ist die Frage nach dem Zustand der Gletscher enger mit der Frage der Wasserverfügbarkeit, und damit der Nahrungsmittelsicherheit, verknüpft.
Für den Tien Shan zeigte sich als Ergebnis der Untersuchung, dass sich der Gletscherschwund zwischen den 1970er und den 1980er Jahre um das Dreifache beschleunigte. Daniel Farinotti: „Die längerfristige Einwirkung kann klar dem generellen Temperaturanstieg zugeschrieben werden“. Eines der Resultate der Studie zeigt nämlich, wie der Anstieg der Temperatur, und insbesondere der Sommertemperatur, die primäre Ursache für die Gletscherentwicklung der Region ist. „Für Zentralasien ist diese Aussage weniger trivial als sie zunächst erscheinen mag: Da die Wintermonate sehr trocken und die Berge sehr hoch sind erhalten die Gletscher den meisten Schneefall während des Sommers“, erläutert Farinotti. „Dies bedeutet, dass ein Anstieg der Temperatur sowohl zu einer verstärkten Schmelze als auch zu einem verminderten ‚Gletschernährung‘ führt – und beides unterstützt den Gletscherschwund.“
Durch das Verwenden der neuesten zur Verfügung stehenden Klimaszenarien, welche für die Sommermonate der Periode 2021-2050 einen zusätzlichen Temperaturanstieg von ca. 2 °C projizieren, präsentieren die Autoren auch einen ersten Ausblick für die zukünftige Entwicklung: Die Hälfte des gesamten Eisvolumens, welches heute in den Gletschern des Tien Shan gespeichert ist, könnte bis in die 2050er Jahren abgeschmolzen sein.
Daniel Farinotti, Laurent Longuevergne, Geir Moholdt, Doris Duethmann, Thomas Mölg, Tobias Bolch, Sergiy Vorogushyn, and Andreas Güntner: “Substantial glacier mass loss in the Tien Shan over the past 50 years”, Nature Geoscience, Advance Online Publication, 17.08.2015, DOI: 10.1038/ngeo2513
Abb. in druckfähiger Auflösung finden sich hier:
Fig 1: http://tinyurl.com/q4um95h
Glaziologische Feldmessungen auf einem Gletscher im Jetim-Bel Gebirge, Kirgistan. Systematische in-situ-Beobachtungen, wie hier abgebildet, sind wichtig, um Satellitendaten mit Bodendaten abzugleichen (Foto: D. Farinotti, GFZ/WSL)
Fig 2: http://tinyurl.com/qd4xgly
Zwei namenlose Gletscher im Chrebet Terskey Gebirge, Kirgistan. Die Wichtigkeit der Topographie für die Gletscher ist deutlich: Nordhänge sind vergletschert, Südhänge hingegen eisfrei. (Foto: D. Farinotti, GFZ/WSL)
Fig 3: http://tinyurl.com/o45v539
Nordhang des Jetim-Bel Gebirge, Kirgisstan. Gletscherschmelze ist eine wesentliche Wasseressource in der ansonsten trockenen Umgebung. (Foto: D. Farinotti, GFZ/WSL)
Fig 4: http://tinyurl.com/pdv3h3l
Im See spiegeln sich die mit frischem Schnee bedeckten Gletscher des Teskey Ala-Too, Kirgisistan. Der Eindruck täuscht: die Gletscher des Tien Shan verlieren dramatisch an Masse. (Foto: D. Farinotti, GFZ/WSL)
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Franz Ossing
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