Können Astronauten unbeschadet zum Mars fliegen?

Simulationen zeigen: Die gefährliche Weltraumstrahlung kann ausreichend gut abgeschirmt werden, wenn Zeitpunkt und Dauer der Reise stimmen.

Die Weltraumstrahlung ist eines der Hauptprobleme bei der Planung langfristiger bemannter Weltraummissionen. Für den Menschen gefährlich sind sowohl energetische Teilchen der Sonne (SEP) als auch die galaktische kosmische Strahlung (GCR) aus dem Weltall. Ein internationales Team um Yuri Shprits vom GeoForschungsZentrum Potsdam (GFZ) und der Universität Potsdam sowie Michail Dobynde vom Skolkovo Institute of Science and Technology (Skoltech) in Moskau hat nun anhand von umfassenden Simulationen gezeigt, unter welchen Bedingungen eine Mission zum Mars machbar ist, auch wenn sie eine enorme technische Herausforderung darstellt. Hierfür betrachteten die Forschenden die verschiedenen Strahlungstypen und ihre Ausbreitung im Weltraum sowie in ein Raumfahrzeug mit Astronaut*innen-Modell. Die ermittelten Rahmenbedingungen: Der Schutzschild des Raumschiffs sollte ausreichend dick sein, um die mitfliegenden Menschen vor der Strahlung zu schützen, eine gewisse Dicke aber nicht überschreiten, da sonst im Material zu viele Sekundär-Partikel erzeugt werden. Selbst mit einem optimal konstruierten Raumfahrzeug sollte die Reise insgesamt nicht länger als vier Jahre dauern. Bester Zeitpunkt für den Start ist während des Maximums im Zyklus der Sonnenaktivität. Durch sie wird die besonders gefährliche kosmische Strahlung am besten abgeschirmt. Die Ergebnisse sind im Fachmagazin Space Weather erschienen.

Bedrohung Weltraumstrahlung

Eine Reise zum Mars dauert nach aktuellem Stand rund neun Monate in eine Richtung. Während Menschen auf der Erde und in erdnahen Umlaufbahnen durch den Erdkörper und sein Magnetfeld vor Weltraumstrahlung geschützt sind, stellt letztere für Reisen in den tieferen Weltraum, etwa zum Mars, ein erhebliches Risiko dar. Dabei sind Astronaut*innen zwei Arten gefährlicher Strahlung ausgesetzt: Energiereiche Teilchen solaren Ursprungs (SEP), bei denen es sich hauptsächlich um positiv geladene Protonen handelt, und die galaktische kosmische Strahlung (GCR). Sie besteht ebenfalls überwiegend aus Protonen (84%), sowie aus positiv geladenen Alpha-Teilchen (zwei Protonen + zwei Neutronen, 14 %) und negativ geladenen Elektronen (2 %). Ein Schutz vor diesen Teilchen ist technisch sehr schwierig und aufwändig, weil sie mit sehr hohen Energien durch den Weltraum fliegen und daher tief in Materialien ein- bzw. sie auch durchdringen können. Im Material kann es zudem zu Streuprozessen kommen, bei denen neue, sogenannte Sekundär-Teilchen erzeugt werden. Dieser hoch-energetische Teilchenmix kann sowohl in der menschlichen Haut als auch in inneren Organen Zellen schädigen.

Umfassende Simulationen durch internationales Team

Um abzuschätzen, wie stark die Astronaut*innen durch die Weltraumstrahlung belastet werden, und um so die optimalen Bedingungen für eine Mission zum Mars zu finden, haben die Forschenden verschiedene Strahlungssituationen und Schutzoptionen simuliert. Beteiligt waren neben den beiden Hauptautoren Yuri Shprits (GFZ) und sein ehemaliger Doktorand Michail Dobynde (Skoltech Moscow) auch Kolleg*innen vom MIT und der University of California, Los Angeles (USA).

Zunächst ermittelten sie die Strahlungsumgebung für das Raumschiff, also Art und Energie der Partikel, denen es während seiner Mission ausgesetzt ist. Hierbei stützten sie sich auf Messungen der solaren Teilchen SEP aus den Jahren 1998 bis 2012. Für die galaktische Strahlung GCR nutzten sie ein empirisches Modell, in dem auch die Effekte des Sonnenzyklus berücksichtigt wurden.

Einfluss des Sonnenzyklus auf beide Strahlungsarten

Die Intensität der beiden Strahlungsarten variiert während des elfjährigen Sonnenzyklus. Bei diesem Prozess polt sich das solare Magnetfeld um: magnetischer Nord- und Südpol tauschen die Plätze. Dementsprechend haben auch verschiedene Sonnenaktiviäten diesen elfjährigen Rhythmus. Beispielsweise kommt es zu Sonneneruptionen, bei denen in einem explosiven Ereignis intensive Strahlungsstöße frei werden, die sich in das Sonnensystem ausbreiten. Allerdings entstehen auf diese Weise nur sporadisch die gefährlichen energiereichen solaren Teilchen (SEP). Eine genaue Vorhersage über Zeitpunkt, Stärke und Richtung der Strahlung ist eine große Herausforderung. Klar ist jedoch, dass die Wahrscheinlichkeit und die Intensität der solaren Strahlung auf dem Höhepunkt der Sonnenaktivität am größten ist.

Im Gegensatz dazu ist die galaktische kosmische Strahlung (GCR) von gleichmäßigerer Natur. Obwohl die Teilchenflüsse nicht so hoch sind, können sich bei langen Reisezeiten im All die Strahlungsdosen gefährlich aufsummieren. Auch die kosmische Strahlung wird durch die Sonnenaktivität beeinflusst: Sie wird von ihr abgeschirmt und ist daher im Maximum der Sonnenaktivität am schwächsten.

Strahlenwirkung auf Raumschiff und Besatzung

Um den Einfluss der Strahlung auf Raumschiff und Mensch zu untersuchen, wurde ersteres durch eine Kugel mit einem Innendurchmesser von zwei Metern modelliert. Als Material für die Hülle wählten die Forschenden das gängige Aluminium, die Dicke dieses Schutzmantels wurde variiert. Eine Wasserkugel von 35 Zentimetern Durchmesser diente als Modell für den menschlichen Körper.

Auf dieser Basis haben die Forschenden schlussendlich die Strahlendosis berechnet, die sich im Laufe einer Reise zum Mars unter verschiedenen Bedingungen im Körper akkumuliert. Dabei analysierten sie auch verschiedene Eindringtiefen in den Körper, um die Empfindlichkeit von Haut, blutbildenden und anderen Organen zu differenzieren.

Ergebnis: Optimale Bedingungen für einen Flug zum Mars

„Bislang gehen die meisten Weltraumorganisationen davon aus, dass die gesamte Strahlungsbelastung für Astronaut*innen im Laufe ihres Lebens den Wert von 1 Sievert nicht überschreiten sollte“, sagt Yuri Shprits. Die neuen Berechnungen zeigen, dass dieser Wert eingehalten werden kann, wenn das Raumschiff eine optimal dimensionierte Hülle hat, wenn der Flug während des Sonnenmaximums startet, und wenn die gesamte Reisezeit 3,8 Jahre nicht überschreitet.

Für den Aluminium-Schutzschild erweist sich eine Materialstärke von 30 Gramm pro Quadratzentimeter als optimal. Bemerkenswert ist, dass das Prinzip „mehr hilft mehr“ den Untersuchungen nach hier nicht angewendet werden kann: Wird das Material dicker, so kommt es in ihm vermehrt zu Streuprozessen, bei denen Sekundär-Teilchen entstehen, die die Strahlenbelastung im Inneren wieder erhöhen können. Auch bei dünnerem Material wäre die kritische Strahlendosis bereits bei kürzeren Flugzeiten erreicht.

Ausblick auf neue Materialien und künftige Missionen

Sollte es neue Erkenntisse zur biologischen Wirksamkeit von Strahlung und neue Materialentwicklungen geben, lassen sich die vorliegenden Modelle anpassen.

„Wir haben uns hier zunächst auf Aluminium als das zurzeit gängige Material für den Strahlenschutzschild konzentriert. Seit längerem werden auch Komposit-Werkstoffe wie Kohlefaser-Verbundwerkstoffe (CFK) diskutiert, die mit leichten Elementen wie Wasserstoff gespickt sind. An diesen Materialien würden wir weniger Streuprozesse beobachten und daher weniger sekundär-induzierte Teilchen“, prognostiziert Shprits. Insgesamt dürfte das aber nur zu einer Verbesserung der Schutzwirkung um rund 20 Prozent führen, schätzt der Weltraumphysiker. Damit wäre dann eine Verlängerung der Reisezeit um ein Jahr möglich.

Zu beachten ist den Forschenden zufolge, dass die Auswirkungen der verschiedenen Strahlungsarten auf den menschlichen Körper noch nicht umfassend verstanden sind. Daher könnten sich künftig die Empfehlungen für die maximale Dosis und in Konsequenz dann auch zur maximalen Aufenthaltsdauer im All noch ändern.

Vorsicht sei auch geboten hinsichtlich der Variation des Sonnenzyklus. Dessen Auswirkungen sind nicht immer gleich, was bei Planungen für künftige Missionen berücksichtigt werden müsse.

Originalstudie: M.I. Dobynde, Y.Y. Shprits, A.Yu. Drozdov, J. Hoffman, J. Li, Beating 1 Sievert: Optimal Radiation Shielding of Astronauts on a Mission to Mars, Space Weather 2021, DOI: 10.1029/2021SW002749

Abbildung:

Abb. 1:

BU_de:
Illustration der numerischen Simulationen: 100 einfallende Protonen mit einer vergleichsweise geringen Energie von 100 MeV (li) und 10 einfallende Protonen mit einer sehr hohen Energie von 1000 MeV (re) treffen auf ein 10 g/cm2 Aluminium Schutzschild und einem Astronaut*innen-Dummy. Aufgrund von Streuprozessen im Schutzschild können die wenigen hochenergetischen Partikel im Inneren des Raumschiffs eine wesentlich größere Menge gefährlicher Teilchen erzeugen als sehr viele Primär-Partikel mit geringerer Energie, gegen die der Schutz besser wirkt.
Primär-Protonen in Blau. Streuprozesse in Grün. Entstehende Sekundär-Teilchen: Neutronen in Rot, Gamma-Strahlung in Gelb, Elektronen in Cyan. (Illustration: Mikhail Dobynde)
Link: https://media.gfz-potsdam.de/gfz/wv/pm/21/11516_radiation-shielding1+2_Dobynde-etal-2021-Space-Weather-a.jpg

Wissenschaftlicher Kontakt:

Prof. Yuri Shprits
Sektionsleiter Weltraumphysik und Weltraumwetter
Helmholtz-Zentrum Potsdam
Deutsches GeoForschungsZentrum GFZ
Telegrafenberg
14473 Potsdam
Tel.: +49 331 288-28899
E-Mail: yuri.shprits@gfz-potsdam.de

Medienkontakt:

Dr. Uta Deffke
Referentin Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Helmholtz-Zentrum Potsdam
Deutsches GeoForschungsZentrum GFZ
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