Alle Wege führen nach Rom - Möglichkeit zur de novo Domestikation von Wildpflanzen durch Kulturpflanzen

Am Anfang der Entwicklung von Nutz- und Kulturpflanzen durch den Menschen vor ca. 10.000 Jahren stand die Domestikation von Wildpflanzen. Der Mensch wählte aus der Vielzahl von Wildpflanzen einer Region, diejenigen aus, die augenscheinlich besondere für ihn nützliche Eigenschaften besaßen, so z.B. Getreidepflanzen, deren Samen länger an der Pflanzen bleiben, statt auszufallen oder solche Pflanzen, die mehr oder größere Samen besitzen. Durch die Domestikation fand eine genetische Selektion statt, die mit Merkmalsveränderungen verbunden war. Unabhängig voneinander ist es in verschiedenen Teilen der Welt bei unterschiedlichen Pflanzen zu einer übereinstimmenden Entwicklung gekommen, was als konvergente Selektion bezeichnet wird. Bisher ist wenig über die konvergente Selektion bei Getreidearten bekannt. Die aktuell in SCIENCE veröffentlichten Forschungsergebnisse von Alisdair R. Fernie vom Max-Planck-Institut für molekulare Pflanzenphysiologie und KollegInnen der Huazhong Agricultural University und der China Agricultural University zu möglichen Ertragssteigerungen bei Mais und Reis stellen einen wichtigen Schritt zum besseren Verständnis dieses Phänomens dar mit möglichen positiven Auswirkungen auf die Pflanzenzüchtung.

Mais, Reis und wilde Verwandte

Getreidepflanzen sind wichtige Kalorienlieferanten für den menschlichen Verzehr und wurden über Jahrtausende hinweg intensiv im Hinblick auf günstige agronomische Eigenschaften selektiert wie z.B. die Steigerung des Kornertrags. Getreide wie Mais und Reis gehören zu unseren wichtigsten Kulturpflanzen und decken einen großen Teil der menschlichen Energiezufuhr ab. Sie stammen aus verschiedenen Ursprungsregionen der Welt - Mais aus Mexiko und Reis aus China – wo es deshalb eine Reihe wilder Verwandter dieser wichtigen Kulturpflanzen gibt. Für die vorliegende Studie wurde das Erbgut von Mais mit dem seiner wilden Verwandten der Teosinte verglichen, um festzustellen, wie sich Domestikation und Selektion auf das Erbgut ausgewirkt haben.

Genregulation erhöht Kornertrag

Die WissenschaftlerInnen konnten dabei ein Gen identifizieren, indem sich Teosinte und Kulturmais unterscheiden. Die Genomsequenzanalyse zeigte, dass einer stromaufwärts nichtkodierenden Region des Gens KRN2 in Mais eine besondere Aufgabe zukommt. Stromaufwärts nichtkodierende Regionen eines Gens wurden früher als „Müll“ angesehen, weil man ihre Aufgabe nicht kannte. Heute wissen wir, dass solche Regionen die Aktivitäten von Genen regulieren. Genau diese Region im KRN2 Gen unterlag während der Domestizierung und Optimierung der Ernteleistung einer starken Selektion. „Wir konnten zeigen, dass Veränderungen in dieser Region die Ausprägung (Genexpression) von KRN2 (Kernel Row Number 2) verringert, was zu einer erhöhten Anzahl von Körnerreihen führt“, kommentiert Dr. Fernie die Versuche. Dasselbe konnte für das entsprechende Gen in Reis namens OsKRN2, nachgewiesen werden. Hieran zeigt sich die artenübergreifende Bedeutung dieses Gens während der Domestikation von Nutzpflanzen.

Auf molekularer Ebene kodiert KRN2/OsKRN2 für ein WD40-Protein und wirkt synergistisch mit einem Gen unbekannter Funktion, namens DUF1644. Es wird vermutet, dass diese Proteininteraktion im Laufe des Selektionsprozesses weitgehend unverändert erhalten blieb und die Anzahl der Körner sowohl bei Mais als auch bei Reis steuert. Das eine solche Steuerung wichtig ist, wird klar, wenn man sich vor Augen führt, dass Pflanzen für die Samenbildung sehr viele Ressourcen, wie Wasser oder Nährstoffe benötigen. Deshalb muss es möglich sein im Hinblick auf die verfügbaren Ressourcen die Menge an Samen zu regulieren. Für die Pflanze spielt in erster Linie eine Rolle, dass Samen gebildet werden, für den Menschen vor allem wie viele. Mit der nichtkodierenden Region des Gens KRN2/OsKRN2 hat man sozusagen den Regulationsschalter entdeckt, der die Samenanzahl steuert.

Knockout führt zu Ertragssteigerungen

Beim Knockout der KRN2/OsKRN2 Gene, also deren Stilllegung, kommt es zu einer Ertragssteigerung von 10 % bei Mais bzw. 8 % bei Reis. Dies konnte über mehrere unabhängige Wachstumsperioden auf dem Feld gezeigt werden und blieb ohne offensichtliche negative Auswirkungen auf andere wichtige agronomische Merkmale. Das bedeutet, andere für die Nutzung der beiden Getreide wichtigen Eigenschaften werden durch die Aktivitätsänderung der KRN2/OsKNRN2 Gene nicht beeinflusst. Durch Knockout bzw. durch Aktivitätsänderung von Genen können gezielt einzelne Eigenschaften verändert bzw. verbessert werden. Im Gegensatz dazu finden sich beim Einkreuzen wilder Verwandter in Kulturpflanzen neben den erwünschten Eigenschaften eine ganze Reihe unerwünschter Eigenschaften in den Nachkommen wieder, die mit viel Aufwand und zeitintensiv wieder entfernt werden müssen. Je nach Pflanze und Erbgang kann es auch sein, dass man einen Teil der unerwünschten Eigenschaften gar nicht mehr los wird.

Diese Ergebnisse zeigen, dass Getreidepflanzen mit einer so unterschiedlichen Domestikations- und Lebensraumgeschichte einer Selektion auf konservierte Genomregionen unterworfen waren, ein Prozess, der als konvergente Selektion bezeichnet wird. Auf genomweiter Ebene wurde eine Reihe von 490 orthologen Genen – das sind Gene, die in verschiedenen Organismen vorkommen und deren Basenabfolge im Lauf der Evolution oder Selektionsprozessen weitgehend unverändert blieben – hervorgehoben, die diesem Prozess unterliegen, darunter KRN2. Diese Gene waren signifikant angereichert im Stärke- und Saccharosestoffwechsel und bei der Biosynthese von Cofaktoren. In Anbetracht der nachgewiesenen Bedeutung von KRN2 sind dies vielversprechende Genkandidaten, die zur Optimierung der Pflanzenproduktion ausgewählt werden können.

Möglichkeiten der Domestikation wilder Verwandter

Angesichts des aktuellen und anhaltenden Klimawandels ist es eine Herausforderung, das Ertragspotenzial der über Jahrtausende domestizierten Elitesorten zu sichern. Ein Weg zur Verbesserung des Ertragspotentials von Kulturpflanzen könnte darin bestehen, die wichtigen „Regulationsschalter“ in den Kulturpflanzen zu identifizieren und damit die Genexpression in die gewünschte Richtung zu verschieben.
Für die Erzeugung widerstandsfähigerer Nutzpflanzen könnte man den genau entgegengesetzten Weg beschreiten: durch eine de novo Domestikation könnte man die günstigen agronomischen Eigenschaften der Kulturpflanzen gezielt in die Wildpflanze einbringen, die zum größten Teil besser an biotische und abiotische Umweltfaktoren angepasst ist. Alisdair R. Fernie, Forschungsgruppenleiter am Max-Planck-Institut für molekulare Pflanzenphysiologie in Potsdam-Golm, erklärt: "Wir können einfach eine Handvoll dieser domestizierten Gene, wie KRN2, in ihre wilden Verwandten einbringen.“ Und weiter: "Die Idee dahinter ist, dass man ertragreiche, aber auch widerstandsfähigere Pflanzen züchten kann, was für die Landwirtschaft der Zukunft entscheidend sein wird."

Kontakt

Prof. Dr. Alisdair Fernie
Max-Planck-Institut für Molekulare Pflanzenphysiologie
Tel. 0331/567 8211
fernie@mpimp-golm.mpg.de

Ursula Ross-Stitt
Leiterin/Referentin für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit

Max-Planck-Institut für Molekulare Pflanzenphysiologie
Tel. 0331/567 8319
ross-stitt@mpimp-golm.mpg.de
http://www.mpimp-golm.mpg.de

Originalveröffentlichung

Wenkang Chent, Lu Chent, Xuan Zhangt, Ning Yangt, Jianghua Guo, Min Wang, Shenghui Ji, Xiangyu Zhao, Pengfei Yin, Lichun Cai, Jing Xu, Lili Zhang, Yingjia Han, Yingni Xiao, Gen Xu, Yuebin Wang, Shuhui Wang, Sheng Wu, Fang Yang, David Jackson, Jinkui Cheng, Saihua Chen, Chuanqing Sun, Feng Qin, Feng Tian, Alisdair R. Femie, Jiansheng Li", Jianbing Yan", Xiaohong Yang"
Convergent selection of a WD40 protein that enhances grain yield in maize and rice
SCIENCE, 25. März 2022, Vol 375, Issue 6587, DOI: 10.1126/science.abg7985

Max-Planck-Institut für Molekulare Pflanzenphysiologie (MPI-MP)

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