Anatomie einer Katastrophe – Internationale Studie zur Sturzflut in Uttarakhand/Indien im Februar 2021

Eine außergewöhnliche Fels- und Eislawine und ein Murgang lösten die Naturkatastrophe von Chamoli im indischen Himalaya Anfang des Jahres aus, zerstörten die Infrastruktur und ließen mehr als 200 Menschen tot oder vermisst zurück. Eine detaillierte Analyse der Verkettung der Ereignisse zeigt nun, dass der Klimawandel Katastrophen in Gebirgsregionen mit zunehmender Entwicklung wahrscheinlicher macht. Die Studie eines internationalen Wissenschaftsteams mit Beteiligung der Universität Potsdam wurde jetzt in „Science“ veröffentlicht.

Am 7. Februar 2021 erlebte der Distrikt Chamoli in der indischen Region Uttarakhand eine humanitäre Tragödie, als ein eisbedeckter Berghang ins Rutschen geriet und einen Murgang bildete, der die Flusstäler des Ronti Gad, des Rishiganga und des Dhauliganga hinabstürzte. Der massive Erdrutsch entstand durch das Abbrechen eines Felskeils von einem Bergrücken im Himalaya-Gebirge, der einen steil abfallenden Gletscher trug. Der daraus resultierende Schuttstrom führte zur Zerstörung von zwei Wasserkraftwerken und tötete mutmaßlich über 200 Menschen, viele werden noch immer vermisst.

Ein selbstorganisierter Zusammenschluss von 53 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern kam in den Tagen nach der Katastrophe unter Federführung der University of Calgary zusammen, um die Ursache, das Ausmaß und die Auswirkungen der Flut und des Erdrutsches zu untersuchen. Sie analysierten Satellitenbilder, seismische Aufzeichnungen und Videos von Augenzeugen, um Computermodelle des Bergsturzes und Murgangs zu erstellen. Ihre Studie wurde nun online in der Zeitschrift „Science“ veröffentlicht.

Dr. Wolfgang Schwanghart vom Institut für Umweltwissenschaften und Geographie, Co-Autor der Studie, lobt die internationale Zusammenarbeit: „Dass sich so viele Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen in so kurzer Zeit – vor allem über soziale Medien und Videokonferenzen – zusammenfanden, um gemeinsam an diesem Thema zu arbeiten, ist außergewöhnlich. Die Beteiligten brachten dabei ihre unterschiedlichen Expertisen ein, anhand derer es möglich war, effektiv und schnell die Verkettung von Ereignissen zu rekonstruieren.“

Während anfängliche Vermutungen auf einen Gletscherseeausbruch hindeuteten, bestätigte das Team, dass es keine ausreichend großen Gletscherseen in der Nähe der Fundstelle gibt, um eine Flut zu erzeugen. Die Arbeit lieferte Satellitenbeweise dafür, dass frühere große Eismassen in den letzten Jahren von demselben Bergrücken abgelöst wurden und auf denselben Talbereich trafen. Die Forscherinnen und Forscher vermuten, dass der Klimawandel zum häufigeren Auftreten solcher Ereignisse beiträgt und dass das größere Ausmaß der jüngsten Katastrophe ein Argument dafür ist, den weiteren Wasserkraftausbau in diesem Gebiet zu vermeiden.

Link zur Publikation: D.H, Shugar et al., A massive rock and ice avalanche caused the 2021 disaster at Chamoli, Indian Himalaya, Science (2021). https://science.sciencemag.org/lookup/doi/10.1126/science.abh4455

Abbildung: Zerstörtes Wasserkraftwerk Tapovan Vishnugad nach dem verheerenden Schuttstrom am 7. Februar 2021. Bildrechte: Irfan Rashid, Department of Geoinformatics, University of Kashmir.

Kontakt: Dr. Wolfgang Schwanghart, Institut für Umweltwissenschaften und Geographie, Tel.: 0331 977-203175, schwangh@uni-potsdam.de

Medieninformation 11-06-2021 / Nr. 046
Dr. Stefanie Mikulla

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